Mittwoch, 3. Oktober 2012

abschlussbericht.bmz

Der folgende Text stellt den Abschlussbericht meines westwärts-Jahres für das BMZ dar und fasst den Aufbau des circusprojekt.saopaulo, sowie persönliche Eindrücke knapp zusammen:



Abschlussbericht
weltwärts-Jahr 09/2011 - 09/2012
Jonas Friedrich
Circusprojekt São Paulo
Assoçiação Comunitária Monte Azul
Sao Paulo, Brasilien



1.) Einblick in die Tätigkeit und das Leben in meiner Einrichtung.
Von September 2011 bis September 2012 habe ich mit zwei guten Freuden ein Circusprojekt in der Favela Monte Azul in
Sao Paulo, Brasilien, aufgebaut. Dieses Circusprojekt fand mit der Hilfe und als Teil der NGO Assoçiação Comunitária
Monte Azul statt. Jene NGO wird vom BMZ und den Freuden der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. mit der Sendung
von welwärts-Freiwilligen unterstützt. Wir waren drei dieser Freiwilligen.
Zusätzlich zu dem Aufbau eines Spenderkreises, der zu Unterstützung der Kosten der Freunde der Erziehungskunst Rudolf
Steiners e.V. aufgebaut werden musste, habe meine zwei Freunde und ich einen hohen weiteren Spendenbetrag aquiriet,
um unser Circusprojekt vor Ort finanzieren zu können.
Im September 2011, angekommen in Brasilien, haben wir in den ersten vier Wochen die Arbeit der Assoçiação
Comunitária Monte Azul kennengelernt, indem wir täglich einen anderen Teilbereich der riesigen Einrichtung besuchten.
Zudem begannen wir Portugiesisch zu lernen und das Land und die Menschen - den Lärm, den Streit, den Schmutz, aber
auch die Lebensfreude und Offenherzigkeit kennen zu lernen.
Gleichzeitig kümmerten wir uns um den Import von Circusrequisiten aus Deutschland und kauften einen Teil dieser vor
Ort ein.
Nach fünf Wochen entwickelten wir den in enger Kommunikation mit dem Management der Einrichtung wie wir
unser Projekt beginnen möchten. Wir begannen sofort mit ca. 220 Kindern wöchentlich zu Arbeiten. Die Arbeit fand
in zwei verschiedenen Favelas (Armenvierteln) statt. Dabei offerierten wir allen Kindern, die die Vormittags- bzw.
Nachmittagsbetreuung der Assoçiação besuchten einmal pro Woche eine Stude Circusaktivitäten zu erlernen.
Nach acht Wochen, in der Vorweihnachtszeit entschlossen wir uns die Arbeit in einer Favela zugunsten einer intensiveren
und konzentrierteren Arbeit mit weniger Kindern in der anderen Favela einzustellen und organisierten zum Abschied eine
kleine “Menschenpyramiden-Aufführung” mit den Kindern.
Die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Karneval im Februar, die kulturell bedingt in Brasilien sehr gemächlich und
geradezu “unproduktiv” verläuft, nutzten wir um ein Ferienlager mit Favelakindern durchzuführen, die mit der Einrichtung
zunächsteinmal nichts zu tun hatten. Am Ende der wohl aufreibensten Woche meines Lebens konnten unsere neuen
Schützlinge dann doch eine wunderschöne kleine Circusaufführung ihren Eltern und der Öffentlichkeit vorstellen.
Infolge begannen wir zwei mal pro Woche genau mit diesen Favelakindern zu arbeiten, die nicht schon von der Einrichtung
durch eine Vor- oder Nachmittagsbetreuung betreut wurden. Es waren Kinder denen wir am frühen Abend zwischen
17h und 20h anboten Circusaktivitäten zu erlernen und sie damit von den Strassen holten und ihnen eine sinnvolle
selbstbewusstsein schaffende Aktivität fern von Gewalt, Alkohol, Drogen und Streit anboten.
Unser Arbeitsplan war also aufgeteilt in zwei Abende Arbeit direkt in der Favela und zwei volle Tage Arbeit mit Kindern
aus den Vor- und Nachmittagsbetreuungen der Assoçiação. Mit letzteren arbeiteten wir auch in einer differenzierten Art
und Weise. Wir luden zunächst alle Kinder ein, machten Ihnen aber deutlich dass nur diejenigen bleiben dürfen, die sich an
unsere Regeln halten und damit ihr weitgreifendes Interesse an unseren Circusstunden demonstrieren. Somit entstand mit
der Zeit eine Gruppe von 25 Kindern, mit welchen wir letztendlich eine wunderschöne Cirucusaufführung auf die Beine
stellten, die sich “Na Selva”, “Im Regenwald” nannte.
In folge dessen setzten wir uns als letztes Ziel unseres Freiwilligendienstes eine Circusaufführung mit den Kindern direkt
aus aus der Favela, die wir abends betreuten, zu kreieren und sie auf eine kleine Reise in ein anderes Umfeld mitzunehmen,
um dort ein Aufführung zu gestalten. Wir kämpften für diesen Traum und er wurde war. Mit dem Theater-Circusprogramm
“O pequeno Sonhador”, “Der kleine Träumer”, gestalteten unsere Kinder und wir letztendlich zwei Aufführungen in
Monte Azul und daraufhin zwei weitere in Botucatu einem kleinen Städtchen im Hinterland von São Paulo.


2.) Welche Phasen haben Sie durchlebt?
Zusätzlich zu der prozesshaften Veränderung und Anpassung unserer Arbeit an die in der Favela herrschenden
Bedingungen und die Arbeit der Einrichtung, welche ich versucht habe im oberen Abschnitt anzureißen, gab es natürlich
auch für mich persönlich verschiedene Phasen in diesem Jahr.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass unser Circusprojekt von meinen Freunden und mir fast vollkommen autark
geführt wurde und wir somit eine große Verantwortung bei großer Umsetzungsfreiheit hatten. Jene Verantwortung hat
mich das Jahr sehr ernst nehmen lassen und ich habe nie mit dem Gedanken gespielt nachhause zu gehen. Auch Heimweih
war nie zu bekämpfen gewesen.
Das freiwillige Jahr für mich sehr intensiv! Das kennenlernen der fröhlichen Festkultur der Brasilianer, der Offenheit, der
Kurzlebigkeit, der Emotionalität und vieles mehr haben stark in mir gewühlt.
Die sozialen Kontraste der Megastadt Sao Paulo mit zu erleben hat mich stark ernüchtert. Täglich bin ich in die Favela
gelaufen und habe mit Kindern gearbeitet, die sich mit Geschwistern eine Stockbettmatratze teilen und in einem duklen,
dreckigen Zimmer zu sechst Leben. Gleichzeitig habe ich andere Brasilianer kennengelernt, die wenige Kilometer weiter in
einem Hochaus mit westlichem Luxus leben und von der Realität der Favelas nichts wissen wollen.
Die ersten sechs bis acht Wochen in Brasilien ging es mir sehr gut. Alles war neu, alles war interessant. Die darauffolgende
Zeit bis Weihnachten fiel mir schwerer, da die Sprache noch nicht so gut funktionierte und weil es mir schwer fiel
Menschen zu finden die auf meiner Wellenlänge sind, mit welchen ich mich “tief” unterhalten konnte. Im nachhinein
bemerke ich, dass dies auch damit zu tun hatte, dass ich die Kultur noch nicht so gut kannte und damit auch die “Schönheit
der Dinge aus brasilianische Sicht” noch nicht verstehen konnte.
Das Frühjahr und der Sommer waren toll. Ich habe viele für mich prägende Bekanntschaften geschlossen und auch die
Arbeit in unserem Circusprojekt wurde immer ausgefeilter und erfolgreicher.
Die letzten zwei Monate waren aufgrund eines Urlaubs mit meinen Eltern und er sehr intensiven Arbeitszeit an unserer
letzten Aufführung mit den Kindern sehr erfolgreich und schön, aber ich hatte die Verbindung zu meinem brasilianische
Umfeld etwas verloren, was mich traurig stimmte.


3.) Wie hast du dich verändert und welche anderen Perspektiven hast du gewonnen?
Ich empfinde das vergangene Jahr als ein praktisches Pädagogikstudium. Ich habe vieles in Bezug Erziehung und Umgang
mit Menschen gelernt. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Geduld. In der Arbeit mit Kindern, die praktisch auf der Strasse
zwischen, Streit, Alkohol und Drogen aufwachsen und keine Erziehung von ihrem Elternhaus mitbringen, war unendliche
Geduld zum friedlichen Durchsetzten von Regeln die Grundlage.
Mich inspirierte die wahrhafte Zusammenarbeit in der Assoçiação Comunitária Monte Azul, die sehr niedrigen,
indifferenten Löhne, und dabei der unendliche, selbstlose soziale Einsatz der Mitarbeiter für die Welt.
Zudem habe ich durch verschiedene wundervolle Menschen eine neue Art Emotionalität in mir gefunden, habe mein
Interesse für Musik und Kunst weiter gestärkt. Ich schätzte mehr als je zuvor unseren Reichtum hier in Deutschland und
erlebte in mir Gleichzeitig das Gefühl wachsen, dass ich mit diesem Reichtum verantwortungbewusster umgehen möchte.
Ich bemerkte ich lebe in Deutschland in einem Reichtum den man zu schätzen verliert und zudem in einem Reichtum, der
andere Menschen auf der Welt benachteiligt, letztendlich ihnen ihren Reichtum entzieht. Daran möchte ich arbeiten.


4.) Was nimmst du aus dem Jahr mit? Was ist dein Fazit?
Dankbarkeit für die wunderschönen Begegnungen und für die Offenheit des brasilianischen Volks.
Dankbarkeit für einen offenen Kulturellen Austausch und für viele unerwartete Geschenke.
Den Impuls zu Geben und zu Teilen und nur im Team zu arbeiten.
Für mich persönlich war dieses Jahr wundervoll und ich bin froh darüber, dass ich mir den Ort Sao Paulo sehr intuitiv
ausgewählt habe und mich im vorraus wenig informiert habe. Ich finde die Stadt hochgradig hässlich, geradezu lebens- und
menschenfeindlich. Einfach wäre es gewesen an einem der brasilianischen Strände mit Kindern Circus zu machen. In der
Peripherie von Sao Paulo zu arbeiten und zu leben war eine richtige Herrausforderung und wahrscheinlich auch der Ort, wo
es die Kinder am meisten gebrauchen können.
Danke dem deutschen Volk und dem BMZ für die finanzielle Grundversorgung.
Danke den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. für die Organisation und für ihren vielseitigen weltweiten
Einsatz.
Danke der Assoçiação Comunitária Monte Azul für offenen Arme, unendliches Vertrauen in uns “wilde Ausländer”. Danke
meiner Familie für feinfühlige und für mich sehr wichtige Unterstützung.
Danke euch lieben Freunden und Menschen in meinem Umfeld, die mein Leben lebenswert, ja wunderschön machen.
Danke!


Gezeichnet,
Jonas Friedrich, 03. Oktober 2012, Darmstadt

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