Samstag, 14. Januar 2012

Reflektion einer Reise zu einigen Indiodörfern nahe Manaus

Gerne möchte ich ein wenig von meinen Eindrücken und Erfahrungen erzählen, welche ich die vergangenen beiden Wochen auf kleinen Reisen zu Indianerdörfern nahe Manaus gewonnen habe.
Beginnen möchte ich mit Bu'u, der mich ohne mich zu kennen, nur über eine Empfehlung einer Freundin aus Monte Azul, eingeladen hat zwei Wochen mit ihm zu verbringen. Bu'u ist um die 30 Jahre alt und lebt als Künstler für indianische Holzarbeiten und als Projektleiter einer Nichtregierungsorganisation, die sich für mehr indigene Inhalte im brasilianischen Bildungssystem engagiert, in Sao Paulo. Aufgewachsen ist Bu`u jedoch traditionell in einem Indianerstamm in Sao Gabriel de Cachoeira, eine Region die sich in der "hohen" Rio Negro Region befindet. Nach seinen Angaben, kamen im 19 Jhr. zwei Wellen von jesuitischen und katholischen Missionaren in jene Region und begannen die Naturvölker zu Bekehren und westliche Lebensweisen einzuführen. Auf meine wiederholte Frage hin, warum die Indianer damals die Missionare nicht einfach weggeschickt hätten, wurde mir erklärt, dass die Missionare mit einer sehr effektiven Strategie vorgingen. Sie suchten zunächst die Stammesführer auf und gewannen seine Gunst durch Geschenke wie Gold, Waffen und Alkohol.
Schnell reformierten die Missionare das Zusammenleben der Indios: Die vorhandenen Wohngemeinschaften aus mehreren Familien wurden aufgelöst und jede Familie in seperaten Baracken untergebracht, Kleidung wurde eingeführt, die Kinder in die Schule mit rein eurozentrischen Inhalten gesteckt, traditionelle Rituale verboten und natürlich wo immer es ging "das Wort Gottes" gepredigt.
Nach dieser Entwurzelung hatten im vergangenen Jahrhundert viele Unternehmen leichtes Spiel die Indios, die nun auch schon an den Umgang mit Geld gewöhnt waren zu schlecht bezahlter, harter Arbeit in der Stadt zu motivieren. Zunächst gingen die Väter, später folgten die Familien. Zudem begannen die Indios auf eine höhere Bildung zu setzten, welche ihnen einzig zu materiellem Wohlstand im westlichen Sinne verhelfen kann.
Bu`u durchlebte jene Vergangenheit. Als sein Vater nach einiger Zeit Arbeit fern vom Indianerstamm zurückkehrte, erhielt er es für wichtig, dass Bu`u in der Stadt - Manaus - studiere. Bu`u musste folgen und studierte nach der Absolvierung eines knochenharten Regenwald-Militärtrainings - dem brasilianischen Wehrdienst - modernen Tanz an der Uni in Manaus. Noch heute erzählt er vom Balletunterricht, den er als Indio absolvieren sollte. Heute arbeite er an der Beseitigung der Ironie, dass das brasilianische Bildungssystem fast ausschliesslich europäische Inhalte lehrt. Vor wenigen Jahren wurde glücklicherweise jedoch in Brasilien ein Gesetz verabschiedet, dass die Lehre indigener Inhalte in den Lehrplan einbindet. Bu`u arbeitet gerade an einem Lehrbuch, dass indianische Kunst, Kultur, Lebensweisen, Ritualen, Medizin und vieles mehr in die brasilianischen Klassenzimmer tragen soll. Immer wieder engagiert sich Bu`u in Dokumentationen, mit Reden, oder indem er einen kleinen Ort für Kulturtourismus aufbaut, an der Preservation der indigenen Kulturen im Amazonasraum.


Auf meinen Besuchen verschiedener Indianerdörfer habe ich miterlebt wie zerrissen das Leben der Indianer zwischen ihrere eigenen Naturkultur und dem Kapitalismus ist. Sie leben in und mit der Natur, die Hühner streunen um ihre Holzbaracken, sie ernähren sich zu einen grossen Teil von Fruchten und dem was der Urwald ihnen gibt. Doch steht in jedem Haus ein Fernseher, der sobald Strom vorhanden ist frequentiert wird und die dekadenten Inhalte amerikanischer Serien und Spielfilme in die Häuser tragt und in folge alle Statusymbole der westlichen Welt wie Handy, Computer etc. auch bei den Indianern begehrte Gegenstände sind. Es ist mir schnell deutlich geworden, dass schon ein riesiger Teil der indianischen Kultur für immer verloren ist. Gerade die Jugend interessiert sich verschwindend wenig für traditionelle Riten und Bräuche und nur noch die ältesten der Dörfer haben das Wissen sie zu praktizieren.
Öfters haben mich Jugendliche mit in den Urwald genommen. Mit dem Gewehr auf der Schulter und der Machete in der Hand konnten sie mir viel über die Natur, Qualitäten von Pflanzen und Tieren erzählen. Ihre Zukunftspläne lagen jedoch immer in einer anderen, urbanen Welt: studiere, Haus, Auto, Frau, Kinder - "ein gutes Leben", wie sie sagen. Ich habe immer wieder gefragt: "warum glaubt ihr, dass das Leben in der Stadt besser ist?". Sie wussten nichts zu Antworten.
Zum grossen Teil habe ich die Realität der Indios die in der Stadt leben als triste empfunden. Wenn ich in Manaus war habe ich bei Bu'us Schwestern in einer Favela am Stadtrand gewohnt. Sich etwas abschottend, bewohnen sie ein kleines Haus und studieren um sich später ein echtes Haus in einem anderen Viertel leisten zu können. Da eine der Geschwister schwer krank ist, kümmert sich eine andere um ihre Kinder. Während meiner ganzen Reise hat mich jedoch die Glücklichkeit und Herzensgüte vieler Indianer, denen ich begegnet bin, bewegt. Trotz materieller Armut, war die Stimmung, in den Indianerdörfern, die ich besucht habe äusserst  friedvoll, enstpannt und ruhig. In Santa Maria, einer Siedlung, in welcher ein Onkel Bu'us wohnt, hatte die Familie eine mini Hütte, in welcher alle sechs Kinder, sowie Vater und Mutter, Seite an Seite in Hängematten schliefen. Die "Toilette" war unter freiem Himmel, nach Toilettenpapier musste man fragen und Wasser und Spülen herbeitragen. Die tägliche Dusche, sowie alles Geschirr und alle Kleider der Familien wurden im Rio Negro gewaschen. Gegessen wurde täglich Reis und Bohnen, sowie Hühnchen, Maniokamehl und die Früchte die gerade reif waren.
Materiell arm sind sie, aber sie leben in einer reichhaltigen und wunderschönen Natur, die ihnen vieles gibt, was sie zum leben brauchen. Im Vergleich empfinde ich das Leben in der Stadt - auch hier in Sao Paulo - viel herausfordernder und schwieriger, da die weitläufige Natur kein Raum zum leben schafft. Ute Crämer, die Gründerin von Monte Azul betont wie ich finde zurecht, dass die Hochhäuser-Slums, die es hier auch in der Stadtmitte von Sao Paulo gibt, wohl die schlimmsten Lebensbedingungen bieten, da dort nicht tausende Menschen nebeneinander im Dreck leben, sondern sich das Elend übereinander quasi stapelt.


Unbegreiflich erscheint mir immernoch, wie es die Missionare schaffen konnten einen erlebbar intensiven Glauben in das Christentum in Naturvölker einzupflanzen. Ich erinnere mich an einen Tag, an welchem ich nach dem Fussballspiel und einem paradiesischen Sonnenuntergang einen Gottesdienst besucht habe. Es fühlte sich irreal an Indios von den Jüngern und Jesus erzählen zu hören und ihre Unterwerfung Gott gegenüber miterleben zu können. Genauso surreal war es für mich als eines Tages ein Indio ein Tischgebet sprach und mit "im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes" endete.


Für mich persönlich war diese Reise, wirklich eine Reise in eine andere Welt, auf die ich mich, da ich allein reiste, wirklich vollkommen einlassen musste. Ich habe wirklich in der Armut gelebt, was einen bedeutenden Unterschied zu meinem Leben hier in Sao Paulo darstellt, in welchem ich mit Armut arbeite, aber in Wohlstand leben und jeder Zeit in Menschen mit ähnlichen Hintergründen und sozialen Verhältnissen treffen kann. Für mich war es sehr besonders die Offenheit und Herzengüte der Indios kennenlernen zu dürfen und ich bedanke mich herzlich für die Liebe, die mir entgegengebracht wurde. Auch die Natur beeindruckte mich. Immer wieder hatte ich das Gefühl mitten in Lebenskreisläufen zu sein. Beispielsweise im Urwald beobachtete ich den Boden, der mit alten Blättern bedeckt war, zwischen Pilzen und Kleingetier aber auch schon wieder neue grüne Pflanzchen emporwuchsen. Wendet ich meinen Blick weiter nach oben, begegnete ich verschiedenen Pflanzen und Bäumen unterschiedlicher Grössen. Zwischen vielen satt-grünen waren einige schon umgefallen und wieder am absterben. Mich beeindruckte, dieses Werden und Vergehen, dass sich mir im Urwald so unmittelbar und intensiv zeigte, wie nie zuvor.
Auch für meinen Körper und mein Imunsystem waren diese zwei Wochen wohl die arbeitsintensivsten meines Lebens. Noch nie zuvor habe ich so deutlich gespürt, dass mein Körper kontinuierlich gegen Keime und Erreger kämpfen musste.
Zu guter Letzt möchte ich mich bei Bu`u bedanken, welcher mir die Möglichkeit eröffnet hat diese zwei Wochen zu erleben. Mich werden die Erfahrungen wohl noch einige Zeit beschäftigen.


Ich wünsche euch allen ein frohes Jahr 2012,
und schicke euch Grüsse aus dem stürmischen Sao Paulo,


herzlich, Jonas

2 Kommentare:

  1. Hallo lieber Jonas,
    wir haben uns riesig über Deinen ausführlichen Bericht von Deiner Reise zu den Indiodörfern gefreut und mit großem Interesse verschlungen! Deine persönliche Verbindung zu Bu`u leistet so einen sehr sinnvollen Beitrag zum Verständnis dieser Volksgruppen und ihrer eigentlichen Probleme in / mit der heutigen Welt.
    Weiter so!
    Liebe Grüße
    Uli

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  2. Und natürlich wünschen wir Dir, Sonja und Ole auch alles gute zum neuen Jahr 2012!

    Eli und Uli

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