Freitag, 17. Februar 2012

zwischen Sonne und Regen - Eine Reflektion über die "Aula de Circo"

Extrem kontrastreiche Gefühle prägten für mich in den vergangenen Tagen das Circustraining in der Favela.So mussten wir am Dienstag das Training frühzeitig beenden, da einige Kinder Steine auf andere Kinder und uns geworfen haben.


Es ist in jeder "Aula" eine riesige Herausforderung, die Kinder so mitzunehmen, dass sie uns wirklich mit Aufmerksamkeit und Respekt zuhören und das befolgen was wir ihnen sagen. Wenn wir beispielsweise in einen Kreis rufen, ist dies nicht mit einmal Rufen getan, sondern es müssen nicht selten zehn weitere, energische, laute und "nachhaltige" Rufe folgen. Nach dieser ersten Hürde beginnt dann der zähe Kampf um Ruhe zu bitten, der auch gerne mal einige Minuten andauern kann: Haben sich die kleine Geprächsgrüppchen einmal beruhigt, kommt einer der Strassenhunde vorbei, oder ein Freund oder Verwandter grüsst von weitem und die kostbare Aufmerksamkeit verflüchtigt sich ins nichts. Rangeleien, oder Motivationen die Hände des Kreisnachbarn zu zerquetschen, kommen zu diesem grundsätzlichen Unvermögen der Kinder ruhig zu sein hinzu. Wenn ich an dieses Diziplinierens der Kinder denke, fällt mir auf, dass ich in diesen Momenten total da bin; dass ich versuche mit den Kindern Augenkontakt zu halten, ihnen klar zu machen, dass es nun darum geht Sonja, Ole oder mir zuzuhören.
Mir wird deutlich dass diese Kinder wohl fast immer genau im Jetzt leben, genau das machen, zu was gerade ihr Gefühl sagt und genau dieser Aspekt ist es, der unsere Arbeit immer wieder so herausfordernd macht. In das Bewusstsein der Kinder dringt nur schwer ein, dass man viel mehr reden, lernen, machen könnte, wenn man nur einige Minuten still und aufmerksam sein würde. Auch der Fakt, dass die "aula de circo" zeitlich beschränkt ist, motiviert sie nicht sich mehr zu disziplinieren, obwohl ich das Gefühl habe, dass viele wirklich Interesse haben etwas zu lernen. Das Gefühl im Moment ist für sie wichtiger als das Planen um effizienter arbeiten zu können.
Wenn dann schlussendlich eine relative Ruhe eingekehrt ist, erklären wir beispielsweise wie auf das Einrad aufgestiegen wird, oder dass es wichtig ist aufrecht auf dem Einrad zu sitzen. Im nachhinein fällt einem jedoch auf, dass nur einige die Hinweise wirklich beachtet und verstanden haben und man erklärt diese Dinge seperat von neuem. Dies benötigt viel innere Ruhe und niemals endende Geduld. Ich merke wie ich in jedem Augenblick der Aula im hier und jetzt bin, versuche, obwohl ich weiss, dass der Unterrichtsstil uneffizient ist, meine Kenntnisse geduldig weiterzugeben. Dabei wird mir deutlich, dass ich mich den Kindern so viel wie möglich öffnen muss, dass ich ihnen so viel wie möglich Aufmerksamkeit schenken muss, damit sie Aufmerksamkeit für mich haben.
Das Geben und das Geduldig sein ist aber auch schön und bereitet mir Freude. Während man sich öffnet und gibt passiert es jedoch in de Aulas immer wieder, dass man beleidigt wird - "cala boca" (halt dein Maul) - oder Circusrequisiten einfach genommen werden, oder Regeln, die wir aufstellen, nicht beachtet werden, bis dahin, dass die Kinder mit Einrädern wegrennen und wir sie förmlich einfangen müssen, oder wie es diese Woche der Fall war, Ole mit einem Stein beworfen wurde und uns gesagt wurde wir sollten doch bitte nach Deutschland zurückkehren. So müssen wir in dem Öffnen, in der Nähe zu dem Kindern, die der Unterricht fordert, eine innerliche Distanz waren, um nicht von dem Gefühl des Respektlosigkeit, dem Gefühl dass man anstatt Dank Beleidigungen entgegengeschmettert bekommt, tief verletzt zu werden.
Persönlich merke ich, dass ich hier in Brasilien bin um zu Geben, oder um Weiterzugeben und wie es bei allem Geben auf dieser Welt ist, nicht erwarten darf, dass ich etwas zurückbekomme - zumindest nicht von den gleichen Personen im selben Moment. Gleichzeitig verstehe ich, dass die Kinder nichts was sie tuen aus wirklich bösem Willen tuen, sondern weil es eine Konsequenz ihres Lebens, der Armut, ihrer Erziehung, letztendlich ihrem Schicksal ist. Gerade weil sie derartige Herausforderungen im Leben haben bin ich hier, um ein kleines Licht zu sein, einen anderern Umgang vorzuleben und den Kindern Freude zu bereiten.



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